Bodan steigt aus der NL-A ab

Nachbetrachtung der entscheidenden Momente

von IM Frank Zeller

Es hat nicht sollen sein. Als Setzlistennummer 9 in die Saison 2017 gestartet, landete Bodan 1 übers Jahr zwar einen Überraschungssieg gegen Luzern und ging mit 4 Mannschaftspunkten als Tabellenachter in die zentrale Schlussrunde in Zürich-Regensdorf, punktgleich mit dem Tabellensiebten Luzern. Alles war noch drin, ein bisschen Glück war nötig, doch liefen dort an einem herrlich sonnigen Oktoberwochenende die Dinge leider gegen unser Team.
Bodan verlor beide Matches gegen Reti und Genf, während gleichzeitig die Konkurrenten Mendrisio und Luzern punkteten. Die Abschlusstabelle spricht eine klare Sprache. Und doch, wenn man genauer hinschaut, war die Entscheidung hauchdünn und hing letztlich an ein, zwei Partien hüben wie drüben. Nicht nur der Abstiegskampf, auch die Frage nach dem Meister hing an einem seidenen Faden: hätte sich der tragische Held Hung Fioramonti nicht einzügig in totaler Gewinnstellung matt setzen lassen, wäre Genf vielleicht Meister geworden…

Um es vorneweg klarzustellen: letztlich hängt es nicht wirklich an einer Partie, auch wenn ich Ihnen das hier - quasi der Dramaturgie zuliebe - weismachen möchte. Eine Saison dauert neun Runden mal acht Partien. Chancen hatten wir während des ganzen Jahres zur Genüge, die leider ungenutzt blieben. Mehrfach verloren wir "unglücklich" mit 3½:4½. Bitter war dies vor allem im April gegen den direkten Abstiegskonkurrenten Mendrisio. Dort ein halber Punkt mehr hätte großes Gewicht gehabt - und der war damals durchaus "drin". Aber wollen wir zurück zum Oktober und zum Hotel Mövenpick in Regensdorf kommen, zur im Abstiegskampf alles entscheidenden achten Runde. Es war klar, dass wir gegen Reti nicht verlieren durften. Ein 4:4 hätte schon den Klassenerhalt bedeuten können, während ein Sieg großartig gewesen wäre.
Was wir freilich nicht ahnen konnten waren die verrückten Vorgänge im Parallelspiel zwischen den abstiegsbedrohten Mendrisianern und den titelambitionierten Genfern.

Bogner / Zeller
GM S.Bogner (rechts) - IM F.Zeller

Ich will direkt in die Schlussphase des Matches einsteigen. Sowohl bei Genf-Mendrisio als auch bei Reti-Bodan stand es 3½:3½, die allerletzte Partie musste entscheiden! Gerade hatte mein Kollege Marcel W. seine Gewinnbestrebungen mit Mehrbauern leider einstellen müssen. Schade, wir hatten alle auf seinen Sieg gehofft. Hinterher konnte Marcel nur den Kopf darüber schütteln, dass er dieses Endspiel nicht gewinnen konnte. Nun war ich der einzige, der noch spielte, das erhöhte zusätzlich den Druck - und die Situation war keine besonders angenehme: mein Gegner, Sebastian Bogner, ist ein starker Großmeister und abgezockter Profi. Sehr gut erinnere ich mich noch daran, wie er vor einigen Jahren ebenfalls in einer NL-A Endrunde unseren armen Theo H. in einem Damenendspiel stundenlang quälte und schließlich den Sieg davon trug. Auch damals stieg Bodan ab. Aber das ist eine andere Geschichte, wobei, Geschichte wiederholt sich offenbar!
In diesem Endspiel musste ich schon seit geraumer Zeit ums Remis kämpfen, nachdem ich zwischendurch ausgezeichnete Chancen liegen ließ - dazu später mehr. Psychologisch unangenehm war zudem, dass ich von Anbeginn der Partie mit Problemen auf der Uhr zu kämpfen hatte. Mittlerweile näherte sich die zweite Zeitnotphase im 60. Zug (siehe Diagramm 1):

GM S.Bogner (2587) - IM F.Zeller (2442)
Reti - Bodan (Brett 2)
Diagramm 1: Stellung nach 55.Kb3
Bogner-Zeller
Diagramm 2: Stellung nach 58. ..Lf4
Bogner-Zeller

Schwarz hat einen Bauern für die Qualität, kann diesen aber nicht halten. Ich war schon einige Züge zuvor bereit, den Bg5 über Bord zu werfen, weil die resultierende Stellung immer noch wie eine Festung aussieht. Der König deckt die Schwäche a6, und es ist ein offenes Geheimnis, wie Weiß Fortschritte erzielen will. Wahrscheinlich kommt er im Weiteren nicht umhin, c3-c4 zu ziehen, was aber zu weiterem Bauerntausch führt. Könnte Weiß den Tausch eines Turmpaares erzwingen, wäre das Endspiel ziemlich sicher für ihn gewonnen, aber Schwarz sollte dem Turmtausch ausweichen können. Diese Festungsidee war mein letzter Strohhalm. Doch dann entdeckte ich die Möglichkeit, es mit ..Lf4 nebst ..Lc1 zu forcieren. Wie schön wäre es, statt einer stundenlangen Verteidigung (selbst wenn das Endspiel theoretisch remis sein sollte - Fehler kann man aus Erschöpfung immer begehen, und Bogner würde mich sicher wie damals Theo weitere 50 Züge oder länger "quälen") sogleich mit aktivem Spiel alles klar zu machen.
Noch blieben mir ein paar Minuten bis zum 60. Zug, und ich versuchte, die Konsequenzen zu rechnen. Eigentlich kam ich schon zum Schluss, dass 55. ..Lf4 nicht funktioniert, doch dann unternahm ich nochmals einen Versuch, es zum Laufen zu bringen. Ich entdeckte eine "Verbesserung", und als die Zeit auf unter 2 Minuten sank, entschied ich mich zum "Alles oder Nichts" (siehe Diagramm 1):
55. ..Lf4?

Hinterher versuchten wir gemeinsam einen Gewinn für Weiß zu finden, falls Schwarz "nichts" macht. Bogner gab zu, dass er zwar einiges versuchen könnte, aber nichts Klares sah. Auch der Computer fand keinen Gewinn. Und so schwierig wäre die schwarze Verteidigung gar nicht gewesen, man muss nur den Turmtausch vermeiden. Das 4:4 war also durchaus greifbar. Stattdessen: 56.Txe7 Lc1 57.c4 Tf3+ 58.Kc2 Lf4 (Diagramm 2)

59.Te6+ Dieses lästige Zwischenschach, das den schwarzen König nach hinten befördert, hatte ich in meinen eiligen Berechnungen glatt "vergessen". Ich hoffte auf 59.c5 Kd5 nebst ..Kc4 oder 59.cxb5+ Kxb5 mit einem aktiven König und guten Remischancen. 59. ...Kd7 60.Txa6 bxc4 61.b5 Zeitnot vorbei, aber mir war klar, dass ich nun völlig auf Verlust stand. 61. ..Ta3 62.Tg1 Ta2+ 63.Kc3 Ta4 64.Td1+ Ke7 65.Te1+ Kd7 66.Te4 1-0

Damit war der Match verloren, womit auch die letzten Hoffnungen auf den Klassenerhalt schwanden. Zudem noch die Hiobsbotschaft aus dem Parallelkampf von Mendrisio: unser Konkurrent bekam tatsächlich die entscheidende Partie und dadurch zwei eminent wichtige Mannschaftspunkte geschenkt! Es lief auch alles gegen uns. Und so kam das Weihnachtsgeschenk zustande:

IM H.Fioramonti (2287) - A.Cacciola (2131)
Geneve - Mendrisio (Brett 8)
Diagramm 3: Stellung nach 56. Dxf2 Diagramm 4: Stellung nach 57. ..Db3#
Fioramonti 1 Fioramonti 2

Diagramm 3: Alles klar? Weiß hat gerade auf f2 den schwarzen Freibauern, den letzten Trumpf des Nachziehenden, vertilgt. Mit einer Mehrfigur sowie dem Ba7, der kurz vor der Umwandlung steht, steht Weiß völlig auf Gewinn. Nur sein König ist ein wenig schutzbedürftig, Schwarz kann noch auf ein paar Racheschachs hoffen. Erst mal noch den Springer hinzuholen, wer weiß.. 56. ...Sd2 57.Sb4??

Um Himmels willen! Was war nur mit dem guten Fioramonti los? Immerhin ist er auch IM. Gut, er ist vielleicht nicht mehr der Jüngste, war womöglich erschöpft oder einfach in Zeitnot, so kurz vor der Kontrolle im 60. Zug. Auf der Homepage des Schweizer Verbandes war zu lesen, dass er sich bei einem Vorteil von +18 laut Computer hatte einzügig mattsetzen lassen. Mein Rechner zeigt sogar fast +20 an. Doch diese emotionslose Rechnerbewertung karikiert die ganze Situation zu sehr. Die Stellung ist nicht ganz trivial. Jeder bessere Spieler sieht, dass Weiß auf Gewinn stehen muss, doch durch die offene Königsstellung und die Damen auf dem Brett ist kein klarer, einfacher Gewinnweg auszumachen. 57. ..Sb1+ nebst 58. ..Da2+ muss auch beachtet werden und hat den Genfer offenbar "abgelenkt" von der Hauptdrohung. Und die, versuchen Sie es doch selbst einmal, ist gar nicht so einfach zu decken. Man muss schon Ka4 sogleich oder nach einem vorgeschalteten Schach spielen, aber so: 57. ...Db3# 0-1 (Diagramm 4).

Deep Fritz 10 - GM V.Kramnik (2750)
Bonn (2) 2006
Diagramm 5: Stellung nach 34.Sxf8
Kramnik

Muss furchtbar für den armen Fioramonti gewesen sein. Er nahm seinem Team damit die letzten, nicht unrealistischen Hoffnungen auf die Meisterschale. Genf hätte darauf hoffen müssen, dass die Kontrahenten Zürich und Winterthur am Schlusstag gegeneinander unentschieden spielen - und exakt dieser Fall trat dann auch ein! Wenn man so rechnen will: bei einem Sieg von Fioramanti wäre Genf jetzt Meister!
Das Mattbild mit Dame und Springer ist schon mal zu übersehen, insbesondere wenn der Springer irgendwie von hinten ins Spiel eingreift. Selbst einem Heroen wie Wladimir Kramnik ist ein vergleichbares Missgeschick passiert - hier das berühmte Beispiel (Diagramm 5):
34. ..De3?? 35.Dh7# 1-0

Wären die Schlüsselpartien mit einem anderen Ende ausgegangen, hätten wir vielleicht noch die Klasse gehalten. Am meisten ärgert mich in meiner Partie indes nicht das Endspiel - wer weiß, ob ich nicht irgendwann später doch noch einen Fehler gemacht hätte - sondern eher, dass ich in der ersten Zeitnotphase eine sehr aussichtsreiche, fast schon gewinnträchtige Stellung hatte. Und ich wusste es, doch der Druck, die verrinnende Zeit … hier übersah ich ein paar wichtige Nuancen und traf intuitiv die falsche Entscheidung, vor allem dies war ein kritischer Moment (Diagramm 6):

GM S.Bogner - IM F.Zeller
Diagramm 6: Stellung nach 29.Tg2
Boger-Zeller

29. ..Dxe5? Es lag nahe, die weiße Bauernstruktur durch 29...Sxc3+ 30.bxc3 zu zerstören, doch ich fürchtete, dass nach ..Lg7 31.Te1 Weiß den Be5 überdecken und meinen Lg7 somit einschränken könnte. Dann hängt auch noch mein Vorposten g3. Doch ich entdeckte leider nicht 31. ..Th4!, wonach der schwarze Turm über die 4. Reihe zum Angriff schwebt. Mit ..Db6+ nebst ..Ta4 erhält Schwarz einen sehr gefährlichen Angriff. Mein Plan sah dagegen vor, den Be5 wegzunehmen, wonach der Läufer die offene Diagonale a1-h8 erhält. Und ich glaubte, den starken Freibauern g3 halten zu können, was sich als Trugschluss entpuppte:
30.Sxe4 dxe4 31.De3! Tf8?
Ein weiterer Fehler gesellt sich gern hinzu. Mit 31. ..g4! 32.Dxg3 Dxg3 33.Txg3 e3! 34.Txg4 e2 35.Te1 Ld2 konnte Schwarz in ein Endspiel abwickeln, das er nie verlieren könnte. Doch dazu muss man genau rechnen. Nach 32.Txg3 landete ich dagegen in dem bereits oben gesehenen schwierigen, aber haltbaren Endspiel.

Schade, zu gern wäre ich in der Nati-A verblieben. Meine persönlichen Versäumnisse habe ich hier ausführlich dargelegt, ich denke, dass alle aus dem Team ähnlichen vergebenen Chancen hinterhertrauern. Aber nun ist es mal so. Ich hoffe, dass das Team in dieser Form zusammenbleibt, es hat jedenfalls wieder viel Spaß gemacht! Bodan hat in den letzten 10-15 Jahren immer wieder Rückschläge verkraftet, mehrfach den (direkten) Wiederaufstieg geschafft. Lasst es uns wieder anpacken!